Es war Juni oder Juli vergangenen Jahres. Auf dem Arbeitsweg begegne ich an zwei hintereinander folgenden Tagen einen Mann, der sich mir Monate später als „Prophet“ vorstellt .
Das erste mal sehe ich ihn am Heimweg von der Arbeit. Bei brütender Hitze zieht ein Mann einen offensichtlich schwer beladenen Karren einen Berg hoch. Ein paar hundert Meter weiter steht ein zweiter Wagen. Ich dachte ganz lapidar: „War wohl am Souk Großeinkauf machen.“ Morgens am Tag darauf liegt er zwischen den zwei Wagen auf einem Hügel schlafend auf einem Pappkarton neben der Straße. Ohne Schlafsack, Decke oder ähnlichem. Ich dachte wieder etwas schelmisch: „Gestern nicht mehr ganz Heim geschafft…“
Am Abend, wieder bei der Heimfahrt fahre ich ein weiteres mal an ihm vorbei. Gut 20 Kilometer weiter als am Morgen. Und wieder geistern mir Gedanken durch den Kopf, diesmal jedoch etwas tiefgründiger: „Ist er Obdachlos? Braucht er Hilfe? Was schleppt er da mit sich?“ Für einen kurzen Moment überlege ich anzuhalten um ihn zu fahren.
Tags darauf wieder bei der morgendlichen Fahrt zur Arbeit halte ich Ausschau nach ihm. Doch er ist weg.
Unerwartetes aufeinandertreffen
Einige Zeit später sind meine Freundin und ich am Heimweg von einem zweitägigem Roadtrip. Wir befinden uns irgendwo zwischen Tafraout und Tiznit und während wir so dahin fahren und unsere Blicke durch die Gegend schweifen lassen, kommt uns ein Mann mit einem Karren entgegen. Ich brauchte eine Weile bis ich verstand, dass es sich mit ziemlicher Sicherheit um den selben Kerl handelt den ich Monate zuvor zwischen Argana und Amskrout gesehen habe. Im Schnelldurchlauf erzähle ich meiner Freundin die Geschichte und beendete diese mit dem Satz:
„Ich drehe um, ich muss mit
dem Kerl reden!“
Im Normalfall tu ich mir schwer auf fremde Leute zuzugehen und sie anzusprechen. Doch die Neugierde war zu groß um nicht umzukehren. Wir machen eine Kehrtwende, überholen den Mann und halten etwa 100 Meter unmittelbar nach seinem zweiten Wagen am Straßenrand an. Kaum aus dem Auto ausgestiegen höre ich lautes Hundegebell. Der Unbekannte lässt seinen Wagen stehen und läuft wie wild auf uns zu. Meine Freundin bekommt einen Schreck, meint es handle sich um einen Irren der auf uns losgehen möchte. Er quasselt auf arabisch während seine Hände durch die Luft fuchteln: „Geht weg, geht weg, haltet weiter weg!“ Ich kenne mich überhaupt nicht aus, keinen Schimmer um was es jetzt eigentlich geht. Noch bevor ich mir zusammenreimen kann was er meint, schnappt er seinen Wagen und läuft zurück um ihn beim anderen zu platzieren. Das Hundegebell verstummt.
Bronzene Haut, leuchtende Augen und strahlende Zähne
Wir stehen hinter unserem Auto, der Mann geht auf uns zu. Meine Freundin übersetzt für mich und erzählt ihm, dass ich ihm schon ein paar mal gesehen hab und ich gerne erfahren möchte ob er es war und wie es dazu kommt ihn Monate später und hunderte Kilometer südlicher wieder zu treffen. Er bestätigt mir, dass er es war und beginnt zu erzählen. Ich verstehe kein einziges Wort. Rania, meine Freundin versucht zu übersetzen. Selbst sie tut sich schwer ihn zu verstehen. Aber nicht etwa der Sprache wegen, sonder viel mehr den Inhalt seiner Geschichte. Nachdem sie mir wenige Sätze übersetzt hat beginne ich ihn zu verstehen ohne ihn zu verstehen. Während seine Worte gerade so heraus sprudeln, beobachte ich ihn genau. Schon rein äußerlich ein interessanter Mensch, ein verwegener Typ. Hager, ausgemerzt und offensichtlich doch bei bester Gesundheit. Strahlend weiße Zähne wie man sie selten sieht. Leuchtende Augen stechen im Schatten seines Hutes hervor. Seine Kleidung war schmutzig, sein Hemd umsäumt von Salzflecken, das Gesicht und die Handrücken bronzen. Anders als erwartet, saubere Fingernägel.
Ein Prophet, ein gesandter Gottes oder doch ein Irrer?
Ich merke schnell, dass er mich ignoriert. Er beantwortet nicht meine Fragen noch lässt er ein direktes Gespräch mit mir zu. Sein Fokus ist auf Rania gerichtet während er erzählt mit Tieren und Babys sprechen zu können. Auch erwähnt er, er könne nur mit jungen Menschen sprechen. Diese seien noch Jungfräulich und nicht von der Gesellschaft manipuliert.
Von Gott gesandt,
von Sonne, Mond
und Sterne geleitet
Seit 14 Jahren zieht er zu Fuß mit seinen Karren quer durch Marokko. Bereits zum vierten mal in dieser Zeit geht er diese Straße. Er sehe sich als Prophet, ein Gottes gesandter, von Sonne, Mond und Sterne geleitet. Sein Motor der Glaube. Er kenne alle Religionen, vom Judentum über Christentum bis Islam. Erstaunlicherweise urteilt er nicht und stellt seine Religion nicht über den anderen.
Über das politische Weltgeschehen ist er ebenfalls im Bilde, sagt er zumindest.
Als ich ihm vermittle woher ich komme, fällt auch ihm, wie vielen anderen auch, als erstes der Name jenes Mannes ein, der im 2. Weltkrieg verantwortlich für Millionen von Todesopfern war. Traurig, wo Österreich doch so viel mehr zu bieten hat.
Geschenke von und für den Propheten
Ich hab ein klein wenig Probleme mit seinen angeblichen Kommunikationsfähigkeiten mit Kleinkindern und Tieren. Bin aber durchaus angetan von seinem unbiegsamen Willen abseits von politischen und gesellschaftlichen Zwängen zu leben. Man braucht nicht viel um gesund und glücklich zu sein. Ob Spinner oder Prophet, ich sehe es als Geschenk an, diesen Mann getroffen zu haben. Er macht mir einmal mehr deutlich, wo ein Wille ist, ist auch ein Weg – im wahrsten Sinne des Wortes.
Ich biete ihm zwei fünf Liter Kanister Wasser an, wovon er nur einen annimmt, schließlich muss er diese auch befördern. Mit den Worten: „Ich weiß du bist viel mehr reicher als ich“ gebe ich ihn ein wenig Geld und bedanke mich.
Regie führt der Prophet
Wir verabschieden uns und ich frage ihn, ob ich ein paar Bilder von ihm machen darf. Ja, ich darf. Aber zu meiner Überraschung gibt er mir genaue Anweisungen wie ich diese zu machen habe, etwas verdutzt setze ich mich in das Auto und folge diesen. Während er zu seinen Karren geht wende ich mein Fahrzeug und fahre ihm entgegen. Als wir auf gleicher Höhe sind, darf ich ein paar Bilder aus dem Auto machen. Dennoch wollte ich mehr. Ich stoppe den Wagen, steige aus und nähere mich ihn zaghaft mit der Kamera in der Hand. Und da ist es wieder – das Hundegebell. In einem der Wagen chauffiert er Hund und Katz. Meine Anwesenheit verstört die Vierbeiner und deren Beschützerinstikt schaltet sich ein.
Er zeigt mir seinen Koran, wo sich Postkarten, Notizen und auch das Geld welches ich ihm gab, befand. Gerne hätte ich ein Bild von dem Buch in seinen Händen gemacht. Doch das wurde mir leider genau so untersagt wie ein Portrait.


FAZIT
Eine bemerkenswerte Begegnung auch wenn ich mit den Bildern nicht ganz zufrieden bin, aber wer weiß, vielleicht ergibt sich nochmal eine Möglichkeit ihn zu treffen. Bekanntlich sind alle guten Dinge „Drei“.